Federico Fellini: Die Reise des Giuseppe Mastorna

Ein Hörspiel mit Filmästhetik, Fellini-Bilder im Radio.

Mit diesem Stück nach einem sehr selbstbezogenen Szenario kehrt Federico Fellini ungefragt und posthum zu dem Medium zurück, das er als junger Mann in den 1940er Jahren mit vielen bezaubernden Geschichten bereichert hat: dem Hörspiel.
Wie für einen "echten Fellini" selbstverständlich wartet das 70 minütige Hörspiel mit einem Heer an Typen und Darstellern auf, mit surreal aufeinanderfolgenden Handlungsorten, mit einem Füllhorn an Ideen, Klängen und Überraschungen. Die aufwändige und vielbeachtete WDR-Produktion hat Der Audio Verlag als Hörbuch verlegt.


Süddeutsche Zeitung, 8. März 2006
Fellinis ausgefallener Film
Die Reise des Giuseppe Mastorna ist nie verfilmt worden. Zu absurd erschien dem Produzenten Dino de Laurentiis das Drehbuch, das Federico Fellini mit drei weiteren Autoren geschrieben hatte. De Laurentiis hat das Buch also abgelehnt – wohl die größte Dummheit, die er je begangen hat. Felix Partenzi aber hat diese wüste, anrührende Geschichte nun doch noch inszeniert, wenn auch nicht fürs Kino, sondern fürs Radio. Nichts desto trotz hat er Bilder entworfen, optisch imaginierbare Szenarien – er hat Fellinis nie gedrehten Film einfach kongenial in ein anderes Medium übersetzt. Die Reise des Giuseppe Mastorna ist radikaler als Ingmar Bergmanns Wilde Erdbeeren; Mastorna (Sprecher: Hans Kremer) albträumt nicht nur von seinem Leben, nein, seine Identität entgleitet ihm vollständig. Nach der Notlandung eines Flugzeuges nehmen sich Menschen seiner an, die längst tot sind, und in seiner Wohnung geht ein Mann ans Telefon, der behauptet, er sei Mastorna … Solch ein Szenario geht bei Fellini einher mit einer opulenten Lust am Spiel, am Verstellen, an der Harlekinade. Und bald spielt Mastorna mit.
sfi



Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. März 2006
Turbulent – Federico Fellini im Radio:
„Die Reise des Giuseppe Mastorna“

Als Kind hatte er die Macht, den Verlauf und die Bilder seiner Träume zu verändern. Jetzt, längst erwachsen, ist er wirren Szenen ohnmächtig ausgeliefert. Mastorna (Hans Kremer), ein italienischer Cellist unterwegs zu seinem nächsten Auftritt, döst im Flugzeug vor sich hin, als Turbulenzen ihn aus den Gedanken reißen. Erzwingt da die Unwetterfront eine Notlandung? Überwältigt den Maestro ein Albtraum? Oder ereignet sich gleich beides? Jedenfalls steckt er bald im lärmenden Chaos fest, erst im Hotel ohne Telefonverbindung nach Italien, dann am Bahnhof und auf dubiosen Schauplätzen ohne Aussicht auf zügige Weiterreise. Als dann noch verstorbene Bekannte auftauchen, versteht Mastorna die Welt nicht mehr. Wie soll er beweisen, daß er lebt? In „Die Reise des Giuseppe Mastorna“ deuten die Schrecksekunden eines Solisten auf Erstfälle, die jeder fürchtet. Schon das macht das Szenario unwiderstehlich, das Federico Fellini Mitte der sechziger Jahre mit Dino Buzzati ausheckte, aber nie verfilmte. Nun ist es in einer WDR-Premiere als ungewöhnliches und reichinstrumentiertes Hörspiel zu entdecken. Felix Partenzi, der Bearbeiter, hat es mit frischen Stimmen und differenzierten Klangfarben inszeniert (Übersetzung: Maja Pflug). Bedeutsam setzen sich da Glocken und Cellokadenzen gegen krachende Katastrophen, Notfallsirenen und Lautsprecherdurchsagen durch. Fern von Descartes’ „Ich denke, also bin ich“, bevorzugt Fellinis Mastorna den sinnlichen Existenzbeweis: ich höre, ich sehe, ich liebe, also lebe ich. Sein Versuch, dem Nachdruck zu verleihen, indem er eine Schöne auf offener Szene verführt, ruft einige seiner früheren Erzieher auf den Plan. Diese skurrile Riege weist auf den Film „Amarcord“ voraus, mit dem Mastornas Reise überhaupt das vielsträngige Erinnerungsgewebe gemeinsam hat. Mit Donnergrollen und Rabengekrächze bezieht sich Partenzi auf die magische Tonspur der „Stimme des Mondes“, und das mit gutem Grund. Denn auch dieser Film hat von der „Reise des Giuseppe Mastorna“ profitiert, wie etwa die groteske Friedhofsszene in beiden Werken zeigt. Beim Blick zurück verschärfen Zerreißproben im Kreis seiner Herkunftsfamilie Mastornas Schlüsselfrage, wann er je ganz er selbst war. „Die Reise des Giuseppe Mastorna“, das „gloriose Relikt“, habe vielen seiner Filme „Nahrung gegeben“, meint Fellini im Gespräch mit Giovanni Grazzini: „Das Merkwürdige dabei ist, daß diese Geschichte, die sich von so vielen meiner anderen Filme großzügig hat schröpfen lassen, in ihrer Erzählstruktur wie durch ein Wunder unversehrt geblieben ist.“ Partenzi belebt nun dieses „Wunder“. Schauplätze und Personen wechseln hier so rasch wie Gedanken: Denn alles bündelt sich in Mastornas Kopf. Das Hörspiel lockt als Königsweg nach innen, in Lichtungen und Schattenbereiche seines Bewußtseins. Tief kann der Hörer eintauchen in das Zusammenspiel von Remineszenzen, Wahrnehmungen Gedankensprüngen, immer mit Aussicht auf Überraschungen.
Eva-Maria Lenz